Los - Lassen
Wir stehen auf der sommergrünen Wiese, Nicole spannt den Bogen und dann ist plötzlich Schluss im Bewegungsablauf. Sie hat voll ausgezogen, aber der Schuss will sich einfach nicht lösen. Sie steht da, voller Spannung und fragt: „Und jetzt?“. „Einfach loslassen“ sage ich. „Geht nicht.“ entgegnet sie gepresst. Der Pfeil fällt von der Auflage und der Moment, in dem sie all ihre Energie in den Flug des Pfeils und sein Treffen in der Scheibe geben kann, ist vorbei.
Nach einem tiefen Ein- und Ausatmen sagt Sie resigniert: „Ich kann das nicht. Hab ich doch gewusst.“ Ich nicke wissend: „Hmm.“
Loslassen üben
„Du musst einfach die Finger der Hand öffnen, die gerade die Sehne hält.“ sage ich. Parallel dazu mache ich die Bewegung mit den Fingern der behandschuhten Hand. Erst langsam, dann etwas schneller und schließlich mit Schwung. „Siehst du? Zack.“ sage ich und ermutige Nicole es mir nach zu tun. Wir üben, wie das Lösen der Finger beim Bogenschießen gelingt. Es ist eine einfache, kleine Bewegung. Und gleichzeitig hängt so viel daran.
Nach der Trocken-Übung nimmt Nicole den Bogen wieder auf. „Ich habe Angst die Sehne loszulassen, weil ich nicht weiß, was passiert. Kommt der Pfeil zurück? Verletze ich mich im Gesicht? Fliegt der Pfeil wirklich weg?“ Ich nicke, diesmal ermutigend. Ängstlich und mit wenig Schwung verlassen die ersten Pfeile den Bogen. Die meisten landen in der Wiese…
Spezialistin im Festhalten
„Kennst du das aus deinem Leben?“ frage ich, als wir die Pfeile wieder einsammeln. Obwohl es ihr bisher nicht bewusst war, wird Nicole plötzlich klar, sie ist spezialisiert im Festhalten. In Bruchteilen von Sekunden sind die Szenen da.
- Freundschaften an denen sie haftet, wie Klebstoff,
- Verhaltensweisen die längst nicht mehr passen,
- Ideale und Dinge, die andere erwarten,
- Und und und.
Eigentlich wollte sie den Kopf schütteln. Doch wenn sie ehrlich ist, gibt es zumindest ein oder zwei Sachen, an denen sie emotional oder aus Gewohnheit hängt. Und das, obwohl sie es besser wissen müsste.
Einfach weiter machen
„Loslassen fällt mir schwer. Ich weiß nicht, was passiert, wenn ich…“ Nicole stockt kurz, „… wenn ich sage, was ich denke. Was bewirken mein Genervt-sein und die Zweifel wohl bei Britta? Was ist, wenn ich meine Freundin dadurch wirklich verliere? Davor habe ich Angst. Aber einfach weiter machen, wie bisher, macht auch keinen Sinn. Das kostet mich ehrlicherweise ziemlich viel Kraft.“
Angst, die Kontrolle zu verlieren
Festhalten und Loslassen sind natürliche Kräfte, die sich gegenseitig bedingen. Festhalten bedeutet eine Situation kontrollieren zu können. Loslassen geht mit Kontrollverlust und Unsicherheit einher. Deshalb ist es manchmal schwer. Wenn wir aber merken, wie es uns gelingt, bringt es uns ins Vertrauen und setzt Energie frei. Der Flug des Pfeils macht das sichtbar. Wer loslässt hat beide Hände frei! (Hellmut Walters) und kann damit Neues begreifen und anpacken.
Auf den Körper hören
Der Gewöhnungseffekt ist groß. Durch die Anpassung an die unbefriedigende Situation mit Britta ist Nicole inzwischen nicht mal mehr bewusst wie sehr sie sich verstellt. Seit Langem ringt sie mit der Kraft, die sie dafür aufbringen muss. „Ja“ sagt sie, „ich habe Verspannungen im Schulterbereich, schlafe schlecht und bei den Treffen mit Britta bin ich immer auf Hab-acht-Stellung.“
Hinschauen und erkennen was bindet
„Voraussetzung für das Loslassen ist, zu klären was du zu sehr festhältst.“ erkläre ich. „Dich selbst anzunehmen und zu lieben, so wie du bist. Dies geschieht im Hier-und-Jetzt. Und passt deswegen so wunderbar zum Bogenschießen.“
Nicole fühlt sich in der Freundschaft zu Britta vor allem verunsichert. Sie steht nicht zu Ihrer Meinung und zieht sich zurück. Ein Verhalten, das sie bereits aus Ihrer Kindheit kennt und an manchen Stellen ihres Lebens sehr wichtig war. Wir überlegen, einen erwachsenen Umgang mit der Situation und Nicole installiert einen inneren Beobachter, der sie darin unterstützt ihre Stärke in Sachen Kommunikation zu leben.
Sie schreibt schließlich „UNSICHERHEIT“ auf einen Zettel. Diesen spießt sie auf einen Pfeil, um ihn in der nächsten Serie weg fliegen zu lassen…
Woah-Effekt
Dann ist der Moment gekommen. Nicole steht im Spannungsbogen und öffnet die Finger der Hand, die die Sehne hält. – Zack! Der Pfeil fliegt energiegeladen und kraftvoll seinem Ziel entgegen, wo er mit einem satten Plock auf die Scheibe trifft. „Woah!!!“ schaut sie erst dem Pfeil hinterher und dann lächelnd in meine Richtung: „Krass! Ich hätte nicht gedacht, dass ich so viel Kraft habe.“
Mit der freien Hand greift sie nach dem nächsten Pfeil. Es ist der mit dem gelben Zettel. Sie schluckt, stellt sich dann in die Energie und Haltung der erwachsenen, kommunikationsgewandten Nicole und lässt mit einem hörbaren Ausatmen Sehne und Unsicherheit los.
Aufgerichtet und klar widmet sie sich den weiteren Pfeilen.
Training im Alltag
Zunächst ist das Lösen der Finger beim Bogenschießen eine bewusste Entscheidung. Im weiteren Verlauf wird es mehr und mehr passiv passieren. Ganz im Vertrauen darauf, dass der Pfeil schon sein Ziel findet. So wird es auch im Alltag und in der Beziehung von Nicole und Britta sein. Ich bin gespannt, was Nicole bei unserem nächsten Treffen darüber berichtet.
Und du?
Ist es auch für dich an der Zeit Etwas los zu lassen? Dann ruf mich an oder schreib mir. Wir stellen uns in den Bogen, schauen nach typspezifischen Stärken, die dich unterstützen und trainieren deine Fähigkeit Loszulassen.
Ich freue mich auf dich!